Mein etwas romantischer Jahresrückblick


Im vergangenen Jahr ist viel passiert. Vor etwas mehr als einem Jahr war ich ein resignierter π-Uhr-Tweetschreiber und musste mir eingestehen, dass ich mit meinem Leben unzufrieden war und auf der Stelle zu treten schien. Ich wohnte hoch im Norden in der kleinen Stadt Kiel und begann eine Beziehung zu einer Frau, die 900 km weiter südlich, im tiefen bayerischen Wald wohnte. Ich schrieb zwar hie und da meine Texte und Kurzgeschichten, war aber derart oft von Selbstzweifeln geplagt, dass ich mich scheute, diese direkt und so, wie sie aus mir kamen in meinem Blog zu veröffentlichen oder im Zuge von Poetry Slams oder Lesebühnen vorzutragen. Im Norden wollte der Winter anscheinend gar nicht enden und die wenigen Sonnenstunden konnten meine schwankende Laune auch nicht recht erhellen und wenn, dann hielt es nicht lang an.

Ein Dreivierteljahr und dem Wahnsinn nah

Ein Dreivierteljahr und dem Wahnsinn nah

Auf der einen Seite war ich glücklich, denn ich hatte in Frau V. einen Menschen gefunden, mit dem ich lachen, weinen und schnacken konnte, wie mit einem Kumpel. Auf der anderen Seite war ich sehr unglücklich, weil diese Frau beinahe tausend Kilometer von mir entfernt wohnte. Ohne das Internet hätten wir uns nie kennengelernt und selbst wenn, dann wäre es ohne Internet schwer möglich gewesen, diese Beziehung zu pflegen. Wir schrieben uns beinahe täglich eMails und kommunizierten über einschlägige Messengerdienste für mobile Endgeräte; des Abends verabredeten wir uns zum skypen und redeten über Stunden, bis der Schlafmangel uns zu Schattengestalten gemacht hatte. Wir trafen uns, wenn es möglich war, entweder in Kiel, im Bayernwald oder im Rheinland, wo ich meine Wurzeln habe, aber solche Treffen waren nur im Durchschnitt alle sechs Wochen möglich und die Zeit ging meist so schnell um, dass wir uns nach gefühlt wenigen Minuten wieder in der Entfernung, betrübt schweigend und seufzend, vor den ruckelig flimmernden Skype-Bildschirmen wiederfanden.

Skype war in dieser Zeit ein Segen und Fluch zugleich, denn einerseits ermöglichte es uns, diese Distanz etwas weniger gravierend erscheinen zu lassen und andererseits verschlimmerte es die Sehnsucht und geißelte uns mit seinen typischen Problemen: Zeitverzögerung, miese Ton- und Bildqualität und dauernde Verbindungsabbrüche strapazierten unsere Nerven. Komischerweise schien es nach einem ehernen Gesetz zu laufen: Je wichtiger das Gespräch, desto schlechter die Übertragungsqualität. Ich habe dies einmal in einem lustig-bitteren Tweet formuliert:

Es dauerte einige Monate, bis wir ein einigermaßen eingespieltes Skype-Pärchen waren. Das Wort “Skype-Pärchen“ mag seltsam klingen, aber letztlich waren wir genau das. Wir kochten – jeder für sich in seiner Küche – zusammen, betranken uns an Wochenenden und hörten dazu Musik, redeten über lustige und ernste Dinge, lachten, stritten und vertrugen uns mit dem Wissen, dass ein Großteil unserer Streits eben auch durch diese strapaziöse Art der Kommunikation bedingt war. Abends stellten wir unsere Tablets neben die Bettkanten, wünschten uns und den Mitarbeitern der NSA eine gute Nacht und schliefen mit der Hoffnung „nebeneinander“ ein, dass die Verbindung bis zum nächsten Morgen standhielt. In vielen Fällen war es nicht so, aber wenn wir uns morgens mit dem gewohntem Flimmern und mieser Bild- und Soundqualität begrüßten, freuten wir uns umso mehr. Wir machten uns Kaffee – jeder für sich – und tranken diesen im Bett. Diese seltsamen Rituale sind im Laufe der Zeit für uns zu einer schrägen Form von Normalität geworden, einer Routine, die viel Kraft kostete. Es gab viele wichtige Gespräche, die wir führten, ohne uns dabei wirklich in die Augen schauen zu können, sondern wahlweise auf den flimmernden Bildschirm oder in die Kamera. Und dennoch: Ohne Skype und Smartphones wäre es nicht möglich gewesen, uns einander an so viel teilhaben lassen zu können und trotzdem stimmte uns dieser Gedanke jedes Mal traurig, wenn wir darüber redeten. Segen und Fluch.

Nach mehr als einem halben Jahr lagen unsere Nerven blank. Wir waren es leid, diese simulierte Nähe zu haben und Gespräche zu führen, deren Inhalte zu 70% aus „Was? Was? Kannst du das nochmal wiederholen? Warte mal, du bist mindestens zehn Sekunden zeitverzögert, lass uns auflegen und Skype neu starten“ bestanden oder behelfsmäßig zu telefonieren, während Skype stumm nebenher lief, wir waren es leid, die restlichen 30% der Gesprächsinhalte mit Sehnsuchtsbekundungen zu füllen. Wir waren an einem Punkt angekommen, an dem wir feststellen mussten, dass wir uns so auf Dauer selbst und gegenseitig kaputt machen würden.

Dennoch dachten wir beide nicht ans Aufgeben. Weil Frau V. beruflich im Süden eingespannt war und ich im Norden einen Home-Office-Job hatte und ohnehin der Stadt Kiel den Rücken kehren wollte, beschloss ich, mich beruflich gen Süden zu orientieren und gemeinsam beschlossen wir, dass wir kurzerhand zusammen ziehen würden. Zu Beginn des recht dürftigen Sommers im Norden, bereitete ich den Abbruch meiner Zelte vor und arrangierte meinen Exodus. Ich fand schnell einen Nachmieter für mein Raumschiff, organisierte den Transport von Möbeln und meinen beiden Katzen und hatte noch ein wenig Zeit, die liebgewonnenen Menschen in Kiel zu verabschieden.

Wenn wir per Skype telefonierten, waren die Störungen zwar immer noch da, aber sie regten uns nicht mehr allzu sehr auf und die Sehnsuchtsbekundungen, die sonst einen Großteil unserer Gespräche ausfüllten, waren organisatorischen Gesprächen gewichen. Wo stellen wir welche Möbel hin? Haben wir an alles gedacht? Wie werden sich meine beiden Katzen mit ihren beiden Katzen vertragen?

Die schräge Zwei-Menschen-Vier-Katzen-WG

Es ging alles sehr schnell, die Tage galoppierten dahin und mir wurde die Wirklichkeit von alledem erst bewusst, als ich Ende Juli mit dem Transporter auf die Autobahn Richtung Hamburg fuhr. Ich musste mich selbst in den Arm kneifen, um mich davon zu überzeugen, dass das alles wirklich passierte.

Einen halben Tag später war unsere gemeinsame Wohnung vollgestellt mit Kartons, ich war erschöpft nach der Reise, wir standen uns fassungslos gegenüber, weil alles plötzlich so schnell gegangen war. Meine beiden Katzen standen ihren beiden Katzen ebenso fassungslos gegenüber. Wir waren plötzlich eine kleine, schräge Zwei-Menschen-Vier-Katzen-WG. Wir hatten nur eine Woche Zeit zum Auspacken und Einräumen und zur Eingewöhnung der Katzen an die neue Situation, bevor der Alltag einkehren würde, aber es würde unser Alltag sein. Nicht in zwei verschiedenen Raumschiffen an den entlegensten Ecken dieser Republik, sondern unser Alltag in unserer Raumstation.

Der Alltag ist mittlerweile eingekehrt und ich bin immer noch damit beschäftigt, mich in meinem neuen Job und in Bayern einzuleben. Das ist aber Teil eines anderen Blogeintrags. Wir wohnen nun seit fast einem halben Jahr zusammen. Die Katzen vertragen sich die meiste Zeit sehr gut – abgesehen von gelegentlichen Revierkämpfen und Eifersüchteleien – und wir kochen nun endlich gemeinsam an einem Herd und wenn wir am Wochenende etwas trinken, dann können wir mit den Gläsern, statt mit einem Bildschirm anstoßen und uns dabei in die Augen sehen. Natürlich streiten wir gelegentlich, wie das in jeder Beziehung passiert, aber wir werden dabei nicht von irgendeinem Programm unterbrochen und was viel wichtiger ist: Wenn wir uns wieder vertragen, können wir uns hinterher umarmen. Wenn sie mies gelaunt von der Arbeit kommt, dann kann ich ihre Laune viel einfacher aufhellen und wenn ich einen ätzenden Tag hatte, geht das schnell vorbei, weil ich mich freue, dass sie es auch so macht.

Wir haben ein gutes Dreivierteljahr die Normalität einer Skype-Beziehung gelebt und sind mehr als froh, dass es vorbei ist. Wir sind uns sicher, dass wir das nicht noch viel länger ertragen hätten. Allerdings hat uns diese Erfahrung sehr bereichert. Nicht nur, dass wir monatelang die Gelegenheit hatten, uns gegenseitig sehr gut kennenzulernen, sondern hat es uns überdies bewiesen, dass wir jede strapaziöse Situation gemeinsam meistern können. Es war eine Lektion, dass es nicht selbstverständlich ist, sich gegenseitig in die Augen schauen zu können. Ganz egal, wie sehr uns manchmal der Alltag auf die Nerven gehen kann (oder wir uns gegenseitig oder wenn uns beim Betreten der Wohnung klar wird, dass die Katzen mal wieder beim Tanz auf den Tischen unsere halbe Raumstation zerlegt haben), erleben wir jeden Tag in dem vollen Bewusstsein, dass es nicht selbstverständlich ist.

Wir wohnen in der Raumstation

Wir wohnen in der Raumstation

Wenn wir abends zu Bett gehen, dann kann der Tag noch so schlecht gelaufen sein und dennoch freue ich mich aktiv darüber, mit der besten Frau von allen im Bett zu liegen. Manchmal möchte ich mich dann kneifen, weil es mir wieder unwirklich erscheint, dass ich sie umarmen und mit meiner Decke mit zudecken kann. Und manchmal wache ich nachts kurz auf und bemerke, dass dort kein Flimmern ist und kein rückgekoppeltes Rauschen. Dann ist da die Frau, die ich liebe und das bringt mich zum Lächeln.

[Dieser Text sollte erst ein Jahresrückblick werden, wurde dann aber ein romantischer Blogeintrag. Er soll allen Mut geben, die eine Beziehung auf hunderte von Kilometern Entfernung führen. In erster Linie soll er aber sagen: Frau V., ich liebe dich.]

3 Kommentare zu “Mein etwas romantischer Jahresrückblick

  1. Ich kann jede Zeile nachvollziehen. Drei Jahre haben wir so gelebt – bei 2500 Kilometern Distanz. Schön das es noch andere Skype-Paare gibt (gegeben hat).

    Viel Glück Euch Beiden. Aus Erfahrung kann ich sagen das so ein Fundament enorm was aushält.

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